Kurz würde am liebsten alleine regieren, das hat Sebastian Kurz im Wahlkampf mehrmals betont. Und ÖVP-Klubobmann August Wöginger kritisiert junge Menschen aus ÖVP-Familien, die andere Parteien wählen: „Wer in unserem Hause schlaft und isst, hat auch die Volkspartei zu wählen.“ Doch wie würde Österreich aussehen, wenn die Volkspartei tatsächlich alleine das Sagen hätte? Eine Reise in die Vergangenheit. (Artikel aus www.kontrast.at)
Inhaltsverzeichnis
Homosexualität wäre verboten
Österreich war eines der letzten Länder in Europa, das an einem Verbot von weiblicher und männlicher Homosexualität festgehalten hatte – wegen der ÖVP. Bis 1971 wurden homo- und bisexuelle Menschen strafrechtlich verfolgt, weil Kaiserin Maria Theresia das im 18. Jahrhundert beschlossen hatte und die ÖVP daran nichts ändern wollte.
13.000 Homosexuelle wurden zwischen 1950 und 1971 verurteilt, davon 95 Prozent Männer. Erst während der Regierung Kreisky konnte das Gesetz gekippt werden. Die Volkspartei war – unterstützt durch die katholische Kirche – fortan bemüht, wieder Einschränkungen einzuführen. Homosexuelle Prostitution und Pornografie waren in ÖVP-Bundesländern bis in die 90er und 2000er Jahre verboten. Die Altersgrenze für Sex zwischen Männern war bis 2002 höher als für Sex zwischen Frauen oder Frauen und Männern. Erst 2002 wurde der Paragraf 209 aufgehoben – dazu brauchte es einen Beschluss des Verfassungsgerichtshofes, weil die ÖVP bis zuletzt dagegen war.
Das Weltbild der ÖVP ist sehr konservativ: Mehr Rechte für Homosexuelle hat sie immer abgelehnt.
Maria Fekter, die später Finanzministerin werden sollte, sagte anlässlich der Abstimmung 1996:
„Für uns ist der wünschenswerte Zustand die heterosexuelle Liebe. [….] Was ich auch nicht möchte, ist, dass wir [….] eine zu große homosexuelle Szene bekommen.“
Doch das sollte nicht das letzte Mal sein, dass der Verfassungsgerichtshof die ÖVP zur Gleichstellung zwingen muss. Erst seit dem 1. Jänner 2019 dürfen homosexuelle Paare in Österreich heiraten. ÖVP und FPÖ wollten die Ehe für Alle sogar per Verfassungsbeschluss verhindern – aber die dafür nötige Zweidrittelmehrheit bekamen sie weder von SPÖ, noch von Grünen oder Neos.
Österreicher müssten 48 Stunden pro Woche arbeiten
Es ist gar nicht lange her, da galt in Österreich die 48 Stunden-Woche. Österreichs Beschäftigte mussten sechs Tage pro Woche 8 Stunden lang arbeiten. Gewerkschaften und Sozialdemokraten forderten die 40-Stunden-Woche Jahrzehnte lang – doch die ÖVP-Regierung verhinderte das.
Der sozialdemokratische Sozialminister brachte den 8 Stunden-Tag wiederholt ein – alle Vorstöße wurden aber vom Koalitionspartner ÖVP abgelehnt. Während der ÖVP-Alleinregierung 1966-1970 hat die SPÖ einen Initiativantrag zur schrittweisen Einführung der 40-Stunden-Woche eingebracht. Der wurde im Parlament nicht einmal behandelt.
Weil die ÖVP ihren Widerstand gegen die 40-Stunden-Woche nicht aufgab, startete die SPÖ ein Volksbegehren: ÖVP und Wirtschaftsvertreter waren dagegen, aber 900.000 Menschen unterschrieben für die 40-Stunden Woche. Das wichtigste Ergebnis: Im Generalkollektivvertrag wurde die schrittweise Einführung der 40-Stunden-Woche bis 1975 vereinbart.
Endlich kam auch die Zustimmung des Parlaments: Nach Jahrzehnten des Widerstands stimmte auch die ÖVP für die 40-Stunden-Woche, nur die FPÖ blieb trotz Volksabstimmung bei ihrer Ablehnung.
„Endlich können wir einen sozialpolitischen Schandfleck der Zweiten Republik, der unzweifelhaft und unbestritten durch die ablehnende Haltung der ÖVP-Unternehmer entstanden ist, beseitigen“ (Sten. Protokolle, XI. GP, 11. Dezember 1969, 14271).
Es gäbe keinen Zivildienst
Seit 1975 gibt es in Österreich eine Alternative zum Dienst beim Heer: Wehrpflichtige junge Männer können seit der Kreisky-Ära auch Zivildienst leisten, wenn sie das dem Dienst mit der Waffe vorziehen. Heute wählt fast die Hälfte der jungen Männer den Zivildienst. Die ÖVP war 1975 gegen die Schaffung dieser Alternative.
Die ÖVP würde gerne die Zeit zurückdrehen: 1945 plakatierte sie den Doppelkopf-Adler als Zeichen der k.u.k.-Monarchie (Quelle: ÖNB Bildarchiv und Grafiksammlung / PLA16319069 / 1945/5)
Wir hätten nur 4 Wochen Urlaub
In Österreich gibt es seit 1983 fünf Wochen Urlaub – ÖVP und Unternehmervertreter waren jahrelang dagagen (wie übrigens schon bei der Einführung der 4. Urlaubswoche auch).
Auch 2018 ist die 5. Urlaubswoche noch umkämpft: Es tauchte eine Liste von Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer auf. Dort listet sie Beispiele für die „Übererfüllung von EU-Rechtsvorschriften“ auf – darunter die 5. Urlaubswoche.
Die Wirtschaftskammer notierte:
„Mehrkosten; die Unternehmen sind verpflichtet, die Dienstnehmer trotz Abwesenheit zu bezahlen.“
Vergewaltigung in der Ehe wäre legal
Bis 1989 war Vergewaltigung in der Ehe kein Strafbestand. Erst auf das Bestreben von Johanna Dohnal, die im Jahr darauf Österreichs erste Frauenministerin für die SPÖ wurde, erlässt der Nationalrat 1988 ein dementsprechendes Gesetz – nicht ohne Widerstand der ÖVP:
„Dem Parlamentsbeschluss waren heftige Diskussionen voraus gegangen, in denen sich Teile der ÖVP – u.a. VP-Justizsprecher Michael Graff – massiv gegen die neue Regelung gewehrt hatte. Der SPÖ warf er vor, das „Patriarchat am Nerv treffen“ und mit den „ehelichen Pflichten“ aufräumen zu wollen.“ (Austria Presse Agentur, 13.4.1988)
Bruno Kreisky und Johanna Dohnal sorgten dafür, dass Vergewaltigung in der Ehe ein Verbrechen ist. (Quelle: johanna-dohnal.at)
2018 noch wehrte sich die türkis-blaue Regierung dagegen, Frauen vor familiärer Gewalt zu schützen. Das Innenministerium stoppte ein erfolgreiches Projekt gegen Gewalt. Frauen-Projekte und Frauenhäuser leiden unter den massiven Budgetkürzungen.
Abtreibung wäre strafbar
In Österreich ist der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft straffrei. Frauen werden nicht mehr kriminalisiert, wenn sie abtreiben. Das haben wir vor allem dem Druck der SPÖ-Frauen zu verdanken, die sich in den frühen 1970er Jahren für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen einsetzten.
Diese sogenannte Fristenlösung wurde am 29. November 1973 mit 93 SPÖ-Stimmen gegen die 88 Gegenstimmen von ÖVP und FPÖ im Nationalrat beschlossen. Eine Woche nach dem Beschluss versuchte die ÖVP im Bundesrat das Gesetz zu kippen.
In Deutschland wurde die Diskussion ums Abtreibungsrecht öffentlich geführt. Die CDU/CSU war wie die ÖVP gegen die Einführung einer Fristenlösung. (Quelle: Digitales Deutsches Frauenarchiv)
Dank eines Beharrungsbeschlusses mit SPÖ-Mehrheit im Nationalrat blieb das Gesetz bestehen.
Scheidung wäre nur in Ausnahmefällen erlaubt
Bis in die 1970er Jahre konnten erwachsene Menschen in Österreich nicht frei entscheiden, ob sie verheiratet bleiben oder sich scheiden lassen wollten. Ehepartner wurden vom Staat bevormundet – und das war ganz im Sinne der ÖVP. So mussten sie ihren Wunsch, sich scheiden zu lassen, „triftig begründen“; ein Ehepartner musste schuldig an der Trennung sein. Gerichte konnten Scheidungen außerdem ablehnen.
Die SPÖ-Alleinregierung unter Justizminister Broda hob diese Bevormundung auf und beschloss zwei wesentliche Neuerungen: Scheidungen können auch in beiderseitigem Einvernehmen stattfinden – das heißt: Nicht einer musste die Schuld am Ende der Ehe tragen, die Ehepartner konnten sich auch gemeinsam auf eine Scheidung einigen. Außerdem konnte sich ein Paar auch dann scheiden lassen , wenn der „schuldlose“ Ehepartner die Zustimmung zur Scheidung verweigerte. Der schuldlose Ehepartner erhält in diesem Fall Unterhalt „wie in aufrechter Ehe“, wenn die Ehe mindestens 15 Jahre gedauert hat oder ein Kind aus der Ehe stammt.
Der ÖVP ging das zu weit: Einerseits fürchtete sie, dass Ehefrauen den Unterhaltsanspruch „wie in der Ehe“ nur vortäuschen könnten. Andererseits wollte sie Gerichte entscheiden lassen, ob die Gründe einer einvernehmlichen Scheidung ausreichen. Außerdem sollte das Scheidungsverfahren ausgesetzt werden, wenn eine Versöhnung der Eheleute möglich schien.
Die ÖVP fürchtete eine „negative Rückwirkung auf die Ehegesinnung“ der Jugend und war gegen die Liberalisierung der Ehe. Der Bundesrat mit ÖVP-Mehrheit stimmte gegen die Änderungen, die dann im Nationalrat mittels Beharrungsbeschluss bestätigt werden musste. Noch im Wahlkampf 1983 versprachen ÖVP-Politiker, dass die Scheidung bei Widerspruch unter einer ÖVP‐Regierung fallen werde.
Unis für Eliten, Bildung ohne Mitbestimmung
Bruno Kreisky hat Österreichs Bildungseinrichtungen demokratisiert – gegen die Stimmen der ÖVP. In den Schulen hat er den Schulgemeinschaftsausschuss eingerichtet. Dort haben Eltern, Lehrer und Schüler gleich viele Stimmen und entscheiden über wichtige Schulangelegenheiten. Für Unis galt das gleiche: Im akademischen Senat bekamen Studierende, ordentliche Professorinnen und sonstige Lehrende gleich viele Stimmen, um die wichtigsten Entscheidungen für ihre Uni zu fällen.
Die ÖVP war immer dagegen, dass Schülerinnen und Studenten mitentscheiden können – sobald es wieder eine konservative Mehrheit gab, baute sie die Demokratie auch wieder ab. „Die studentische Mitbestimmung wurde stark reduziert, die von AssistentInnen völlig aufgehoben. Die ÖH wurde in der Folge seitens der Regierung in ihrer bestehenden Form in Frage gestellt, ihre hochschul- und gesellschaftspolitischen Aufgaben sollen zu Gunsten von Servicefunktionen eingeschränkt werden“, so Uni-Lektor Herbert Posch für die Universität Wien.
Von Kreisky wurden auch die Studiengebühren aufgehoben, im Jahr 2000 wurden die Studiengebühren von der schwarz-blauen Regierung wieder eingeführt. 45.000 Studierende brachen ihr Studium ab – das waren 21 Prozent aller Studierenden.
Wien hätte keine Donauinsel und kein Donauinselfest
An sonnigen Wochenenden sind bis zu 300.000 Wiener auf der Donauinsel und beim Donauinselfest bis zu drei Millionen Menschen. Doch die ursprüngliche Funktion der Donauinsel war nicht nur die Erholung, sondern vor allem der Hochwasserschutz. Die Donauinsel macht Wien so sicher vor Überflutungen wie sonst kaum eine Stadt.
Beim Bau der Donauinsel Ende der 1960er Jahre war die ÖVP dagegen: Sie stimmte nicht nur dem Beschluss nicht zu, sondern kündigte aufgrund ihrer Gegnerschaft zur Donauinsel die Koalition mit der SPÖ auf.
Wien wäre ohne UNO-City nicht die 3. UNO-Stadt geworden
1957 zog die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) als erstes UNO-Organ an den Wiener Opernring. Die Organisation für Industrielle Entwicklung (UNIDO) folgte 10 Jahre später. Die ÖVP-Bundesregierung beschloss, der UNO einen Amtssitz im 22. Bezirk auf Kosten des Staats zu bauen. Jedoch wurde das Projekt erst von der SPÖ-Regierung unter Kreisky umgesetzt, wobei der Architekt Johann Staber ausgewählt wurde.
Eine weitere Diskussion folgte beim bereits geplanten Bau des Konferenzzentrums. Die ÖVP startete ein Volksbegehren, das gegen den Ausbau war. Die SPÖ machte allerdings weiter. Schlussendlich beschloss die UNO weiter Organisationen nach Wien zu verlegen. Über 4 500 BeamtInnen der Vereinten Nationen zogen ein und Wien wurde nach New York und Genf zur dritten UNO-Stadt.
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